Kein Comeback

9. November 2009

Golden bahnen sich die letzten Sonnenstrahlen ihren Weg durch das übriggebliebene noch an den Bäumen hängende Herbstlaub. Dieser Typ flaniert durch die Zeit seines Lebens, immer einen Mundwinkel frech nach oben gezogen, so wie auf den alten Kindheitsfotos. Zu seiner linken die Frau, die ihm endlich gibt, wonach es ihn so lange sehnte. An der rechten Hand eine lockere Leine an deren anderem Ende irgendwo ein schnüffelnder Hund den Wegesrand markiert. Und das Herrchen weiß, das hier ist seine Zeit.

robbie-williams-reality-kilSeit dem 06.11. kann man es kaufen, das neue Album von Robbie Williams. Um auf Nummer sicher zu gehen, wird es sogar für unter 10 Euro unters Volk gebracht. EMI braucht einen Erfolg und weil Robbie mit „Rudebox“ dann doch zu sehr experimentiert und zahlreiche Fans (Käufer!) vergrault hat, will man diesmal alles richtig machen. Ob es EMI gelingt mit Robbie noch in diesem Jahr den großen Reibach zu machen und das Geschäftsjahr 2009 doch noch erfolgreich enden zu lassen, werden die nächsten Wochen zeigen. Es folgt eine Song-für-Song-Kritik des neuen Robbie-Williams-Albums „Reality Killed The Video Star“.

Morning Sun: Ein Opener wie aus dem Lehrbuch. Und doch nicht: Vogelgezwitscher, Mundharmonika, Klavier und Streicher. Irgendwann folgt dann noch ein Schlagzeug, aber erst mal schmettert Robbie Williams einen Text über Neuanfänge, Glücksgefühle, verschwendete Zeit und natürlich: die Liebe. Dass der Song am Ende des Albums noch einmal kurz erklingt, macht dann auch Sinn. Das kennt man ja, die Nummer mit „Wir geben dem Ganzen mal einen Rahmen“. Williams singt mit Inbrunst und verkauft seine Gefühle wie damals, auf seinem bis heute unerreichten zweiten Album „I’ve Been Expecting You“.

Bodies: Seit einigen Wochen wird uns dieser Ohrwurm indoktriniert. Man kann ihn nicht überhören. Eine starke, aber auch ungewöhnliche erste Singleauskopplung. Mit Chor, krawalliger Gitarre, Discobeat und Geistlichen aus dem Himalaya-Gebirge, die Williams im Refrain unterstützen und für den unnötigen Pathos sorgen. Bis ich die übrigen Songs vom Album kannte, dachte ich: „Geile Nummer!“ Vielleicht wäre es klüger gewesen, einen der anderen und vor allem typischeren Robbie-Songs als erste Single zu veröffentlichen.

You Know Me: Meine Mutter wird den Song lieben, weil es einer dieser Titel ist, wo man als Sänger durchs schunkelnde Publikum zieht, Blümchen einsammelt, Küsschen links und rechts verteilt, für Ohnmachtsanfälle sorgt, hier und da das eine oder andere Zuzwinkern verteilt und für glänzende Augen sorgt. Das im Refrain ein „Shalalala-Shalalala“ ertönt, macht es nicht besser, aber verständlich. Robbie singt vom eigenen gebrochenen Herzen und sammelt gleich Reihenweise neue weibliche ein. Solls ja geben, solche Männer.

Blasphemy: Der einzige Titel des Albums, der mit seinem alten Kollegen Guy Chambers entstanden ist. Ihr erinnert euch doch noch!? Das ist der Typ, der Robbie Hit für Hit beschert hat und dann, als Robbie neue Wege beschreiten wollte, abgesägt wurde. Überall ist zu lesen, dieser Song wäre das Highlight des Albums. – Diese Meinung kann ich nicht teilen, nein, es gibt bessere Songs auf dem Album. Wenngleich der Song perfekt instrumentalisiert ist und er ein wenig an „I will Talk And Hollywood Will Listen“ (enthalten auf Robbies Swing-Album) erinnert. Aber vielleicht ist gerade das mein Problem: Dieser Song klingt nach etwas, das man eigentlich hinter sich lassen wollte. Und sollte.

Do You Mind: Gitarre und die bitte laut. Klar, Rock ist das nicht. Wohl eher guter Rock-Pop, aber Robbie lässt die Sau raus. Und dass das Spaß macht, hört man ihm an. Der Song ist ein Gassenhauer. Ich sehe sie vor mir, die Frauen in der ersten Reihe, mit nach oben gerissenen Armen, hin und her winkend. Und wenn er ihnen ein „I touch ya“ entgegenschmettert, fallen sie geschlossen in Ohnmacht.

Last Days Of Disco: Was für eine Nummer! Was für eine Disco-Hymne, die zunächst gar nicht so wirkt, weil sie eben nicht gerade zum Abtanzen einlädt. Ein Video zu diesem Song würde wohl eher Zeitlupenbilder zeigen: Menschen die sich aneinander reiben, hingebungsvoll und sexy. Im Grunde ist das der erste Song, dem man anhört, dass Pop-Größe Trevor Horn das Album produziert hat. Dieser Song ist Balsam für die an schlechter Pop-Musik erkrankten Ohren.

Somewhere: Ein knapp ein minütiger Mini-Song, der ausreicht um Robbie mitteilen zu lassen, was die Hörer ohnehin schon wissen: Für jeden da draußen gibt es eine Liebe. Alles zu seiner Zeit. Aber Danke dafür, dass es uns noch mal gesagt wurde.

Deceptacon: Ehrlich gesagt, ist das der Titel, den ich bitte unbedingt noch als Single veröffentlich wissen will, Herr Williams. Was für eine Ballade! Ehrlich, mir blutet das Herz und mir schießt Pipi ins Auge. Piano, Robbies Stimme, irgendwann ein (wenn auch elektronisch verzerrter) vorsichtiger Chor, dann Gitarre, Streicher und alles blubbert über vor Kitsch. Und weil es so viel ist, kann man sich nicht davor retten. Man wird regelrecht davon überschwemmt. Fast muss man annehmen, diese Ballade ist Williams Versuch, wiedergutzumachen, was er mit den letzten beiden Alben balladenmäßig versaut hat.

Starstruck: Noch so ein Dancefloorfiller. Wobei an dieser Stelle gesagt werden muss, wenn ich von „Disco“ rede, meine ich nicht Gruppen wie „Alcazar“ mit ihrem Hit „Crying at the Discoteque“. Das hier klingt entspannt, erwachsen und gerade genug verspielt, um nicht vor dem eigentlichen Höhepunkt schwitzend in der Ecke zu liegen. Und wieder muss man Trevor Horn applaudieren – großartig arrangiert! Ready, steady, go!

Difficult For Weirdos: Wer mit „Rudebox“ nun wirklich gar nichts anfangen konnte, wird diesen Song vermutlich hassen wie die Pest. Denn, meine Damen und Herren, hier haben wir ihn doch noch – den Aufreger des neuen Robbie-Williams-Albums. Im Vergleich zu den übrigen Songs, klingt dieser dann doch schon fast elektronisch aggressiv und enthielte er nicht meine Lieblingszeilen, wäre dieser Titel vermutlich der einzige, für den ich die Skip-Taste nutzen würde: Time isn’t lost where devotion ist. I never wasted a life. Space is the place where the social is. Far from the safe and the norm.

Superblind: Hiermit hätten wir den Kandidaten für die Sonntagvormittagbeschallung. Alles klingt erst mal nach kuschliger Ballade und schreit nach Gemütlichkeit, der Refrain aber hat es in sich und kommt gewaltig daher. Ach ja, und Robbie stellt einmal mehr klar, dass er nicht so verstanden werden will, wie ihn die meisten sehen. Vielleicht auch deshalb einer der ehrlichsten und intimsten Songs des Albums.

Won’t Do That: Am Ende lässt Williams dann noch mal den „Lausbub“ raus. Klingt frech, verspielt und verlangt nicht viel Phantasie, um sich vorstellen zu können, dass er mit einem hochgezogenen Mundwinkel singt und – Achtung! – jemanden besingt: Nämlich seine Neue. Die Frau, die ihn geerdet hat und dafür sorgt, dass es vielleicht in den nächsten Jahren irgendwann mal eine dieser dussligen Meldungen wie „Viele kleine Robbies“ geben wird.

Alles in allem haben es Williams und sein neues Team im Hintergrund verstanden, die zwei letzten Alben vergessen zu machen. Das hier ist zwar nicht der alte Robbie, aber wer kann es ihm verdenken? Die Texte sind nicht mehr zynisch, weil er alles schon gesagt hat, über seine bitterböse Boygroup-Zeit. Im Moment ist er glücklich mit seiner neuen Flamme: Wer rechnet da mit einem Abrechnungssong? Und ein Comeback stellt dieses Album auch nicht dar, einfach deshalb nicht, weil er nie weg war. Gut, eine 3-jähirge Wartezeit auf ein neues Album ist in der Musikbranche der heutigen Zeit schon ein enormes Wagnis. Andererseits: Wer hätte ernsthaft damit gerechnet, dass ein Künstler wie Robbie Williams in Vergessenheit gerät?

Diese Album klingt gut, frisch, leistet sich kaum musikalische Aussetzer und macht eines besonders deutlich: Robbie Williams ist angekommen.

2 Antworten to “Kein Comeback”

  1. Tachi Says:

    Unglaublich! Ich hätte nich gedacht, dass sich die Giganten unter den Labels zu solchen Preisen hinreißen lassen! Für unter 10 Euro würde ich im Moment alles kaufen was musikalisch in meine Richtung geht. Mir gefällt von Robbie ja eh Swing When You’re Winning am besten 😉


  2. […] This post was mentioned on Twitter by Vera, Hristo Mitov. Hristo Mitov said: Wieso schreibt man, was man in nem Lied hört, wenn man es selber hören kann? RT @Agent_Dexter: KEIN COMEBACK! http://wp.me/pAs5f-9f […]


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